HAMMERHEAD: Alex Gräbeldinger

Foto© by Alex Gräbeldinger

Kindheitserinnerungen eines HAMMERHEAD-Fans in zehn Akten

1.) Mitte der Neunziger auf dem Schulhof der Maximilian-zu-Wied-Realschule in Neuwied. Ich bin 14 Jahre alt und trage ein T-Shirt der Band ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN, als mich ein älterer Mitschüler als „Pseudo-Punk“ verunglimpft. Er verweist auf sein eigenes Shirt, klopft sich auf die Brust und verkündet großspurig: „Das ist Punk!“ Ich blicke auf das T-Shirt und bin eingeschüchtert – zum ersten Mal in meinem Leben lese ich den Bandnamen HAMMERHEAD. Unter dem markigen Schriftzug ist ein Foto abgebildet, das ich nicht zuzuordnen weiß: Zu sehen ist ein schnauzbärtiger Mann, der mit einer Pistole eine Frau bedroht. Da ich mich von meinem älteren Mitschüler gleichermaßen belächelt als auch verängstigt fühle, beschließe ich, die Band auf seinem T-Shirt zunächst einmal aus Prinzip scheiße zu finden.

2.) Ich treffe eine ehemalige Klassenkameradin aus der Grundschule wieder. Da sie mittlerweile grün gefärbte Haare hat, bin ich sofort in sie verliebt. Ich behalte es aber für mich, da sie sich mir gegenüber recht kühl verhält und auch darüber hinausgehend den Anschein erweckt, als wäre sie mir in Sachen Coolness bereits zehn Schritte voraus. Nichtsdestotrotz leiht sie mir eine Kassette, auf die das Album „Stay Where The Pepper Grows“ von HAMMERHEAD überspielt wurde. Mein erster Eindruck beim Hören: Puh, das klingt aber wirklich ganz schön heftig und fast schon ein bisschen unheimlich. Doch wenn Kathrin diese Art von Musik tatsächlich gut findet, so möchte ich diese Art von Musik ab sofort auch gut finden.

3.) Ein Liebespaar werden Kathrin und ich leider trotzdem nicht. Stattdessen lerne ich Julia kennen. Julia findet HAMMERHEAD total scheiße und hört lieber TOCOTRONIC. Also finde ich HAMMERHEAD vorerst auch wieder scheiße.

4.) Eines Tages sehe ich den HAMMERHEAD-Sänger Tobias Scheiße in der TV-Talkshow „Arabella“. Mir imponiert seine lässige Arbeitsmoral. Ungefährer Wortlaut einer seiner Aussagen: „Sobald ich die Lehre in der Tasche habe, lege ich die Hände in den Schoß.“ Ich bin beeindruckt und beschließe, HAMMERHEAD trotz der Vorbehalte meiner Freundin von nun an doch gut zu finden. Ein Anblick, der mich ebenfalls fasziniert und zum Nachahmen animiert: Anstelle von herkömmlichem Schmuck hat sich Tobias einen krummen Nagel aus der Werkzeugkiste durch sein Ohrläppchen gebohrt.

5.) Von nicht minder historischer Bedeutung: HAMMERHEAD bei MTV. Statement von Tobias Scheiße: „Ich bin Punkrocker und schmeiß Mülltonnen.“ Selbst wenn Herr Scheiße seine Worte rückblickend als albern erachtet, für das kollektive Gedächtnis gehören sie – neben der Live-Übertragung der Mondlandung im Jahr 1969 – zweifelsfrei zu den wenigen Höhepunkten der internationalen Fernsehgeschichte.

6.) Bei einem Provinzfest in einer Mehrzweckhalle lerne ich Ranen, den Bassisten von HAMMERHEAD, kennen. Er trägt einen perfekt sitzenden Anzug und sieht aus, als wäre er ein Mitglied der sizilianischen Mafia. Er kritisiert meine Frisur (Schlapp-Iro), prostet mir aber dennoch mit einem Bier zu. Ich fühle mich akzeptiert – oder zumindest geduldet.

7.) Im Alter von 18 Jahren werde ich erstmals in einer Nervenheilanstalt untergebracht. Während meines mehrwöchigen Aufenthalts höre ich zwei musikalische Neuerscheinungen rauf und runter: 1. „Cooler Parkplatz“ von KNOCHENFABRIK, 2. „Weißes Album“ von HAMMERHEAD.

8.) HAMMERHEAD laden meine Teenagerband dazu ein, sie für zwei Konzerte nach Ostdeutschland zu begleiten. Vor Aufregung und Freude pinkle ich mir fast in die Hose. Um das Erlebnis vollends auszukosten, drängt sich mir im Laufe des Wochenendes zunehmend der Wunsch auf, Marihuana durch die Bong des HAMMERHEAD-Schlagzeugers Osche rauchen zu wollen. Als Tobias erfährt, dass ich aufgrund einer drogeninduzierten Psychose bereits in der Psychiatrie war, sieht er sich zu folgender Intervention verpflichtet: Er untersagt mir den Cannabis-Konsum – streng, aber wohlwollend. Ich nehme mir seine fürsorgliche Autorität zu Herzen und lasse die Finger von der Wasserpfeife.

9.) Ein junger Altersgenosse aus meinem erweiterten Bekanntenkreis bekommt die Verantwortung übertragen, die HAMMERHEAD-10“ „Farbe/Color“ mithilfe seines mobilen Tonstudios aufzunehmen. Im Anschluss daran kursieren Gerüchte, eine Nachbarin habe aufgrund der Lärmbelästigung mit der Polizei gedroht. Während sich Tobias Scheiße seinen Gesangsspuren widmete, war sie der Annahme, es würde „ein Schwein geschlachtet werden“.

10.) Einige Jahre später. Filmpremiere der legendären HAMMERHEAD-Doku „Sterbt alle!“ in einem Bonner Kino. Zutritt nur in Abendgarderobe. Ich trage einen weißen Anzug von C&A, den ich eigens für diesen Anlass erworben habe. Nach der Filmvorführung folgt der Umtrunk. Thees Uhlmann ist ebenfalls vor Ort. Er nimmt mich an die Hand, schleudert mich über das Tanzparkett und lässt mich an seiner Zigarette ziehen (obwohl wir uns nicht kennen und auch in dieser Nacht kein einziges Wort miteinander sprechen). Einige Stunden später schlafe ich in einer Regionalbahn ein und erwache irgendwo im Schlamm eines Feldwegs in einem Ort namens Mülheim-Kärlich – in unmittelbarer Nähe des riesigen Kühlturms eines Atomkraftwerks. Mein weißer C&A-Anzug ist völlig hinüber, doch der Abend war es wert.