SIX DAYS OF CALM

Foto© by Tony Wehnert

Kopfkino

Zwar ist sein Debütalbum „The Ocean’s Lullaby“ zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt der letzten Jahre erschienen, doch es mauserte sich zum perfekten Soundtrack für Kopfkino-Reisen während der endlosen Lockdowns. Hinter SIX DAYS OF CALM steckt im Grunde „nur“ der Multi-Instrumentalist Marc Fisher, der es mit dem Nachfolger „My Little, Safe Place“ nun schafft, unsere Synapsen zu befeuern. Die sieben neuen Post-Rock-Songs im Stile von Bands wie EXPLOSIONS IN THE SKY oder EF sind das Ticket für einen Trip in parallele Welten. Das Einzige, was man zum Genießen tun muss, ist die Augen zu schließen.

Kannst du dir deine Faszination für Post-Rock erklären? Was bewegen diese Bands bei dir? Und kannst du sagen, was SIX DAYS OF CALM für dich bedeutet?

In erster Linie, dass es keine Grenzen gibt und dass so viele Bands so vielseitig sind. Man hat das Gefühl, die machen vor nichts Halt. Wenn sie es fühlen, dann machen sie es einfach. Ich habe heute ein Review gelesen, in dem steht, dass ich mich um nichts scheren würde, weil ich mit so einem Brocken von Album daherkomme, das absolut ungeeignet für Spotify ist. Ich liebe auch diese unfassbare Freiheit, dass ich machen kann, was immer ich möchte. Wenn die Songs dabei zehn Minuten lang werden, ist das einfach so. Und wenn sie einen Elektrobeat haben, stehe ich auch dahinter. Natürlich gibt es im Post-Rock auch Bands, die etwas drüber sind und die ihre Fans stressen. Aber auch das ist etwas, das ich an dieser Szene so mag und das ein Zeichen dafür ist, dass ich meine Emotionen so ausleben soll. Was in mir passiert, passiert eben und ich schaue, dass ich das auch in meinen Songs unterbringen kann. Dabei gehe ich unkonventionelle Wege, weil ich einfach genau das umsetzen möchte, was in meinem Kopf so vorgeht. Das übt auf mich auch eine Art Faszination aus. Deswegen liebe ich diese Bands, aber auch das, was ich tue.

Deine Songs brechen auch durch ihre Länge aus der Konvention aus. Die meisten Tracks, die wir hören, sind maximal vier Minuten lang und gespickt mit Gesang und allerlei Dingen, die nach unserer Aufmerksamkeit heischen. Du baust deine Songs meist langsam auf und lässt sie erst dann explodieren.
Solche Songs sind für mich nicht unbedingt vorteilhaft. Wir konkurrieren um alle möglichen Playlisten, um Streams, um keine Ahnung was. In unserem Genre schaffen es nicht viele Bands, größere Aufmerksamkeit zu bekommen. Meist passiert das über Filme oder Soundtracks. Das kann funktionieren, aber ansonsten wird es schon schwierig. Per se ist es auch einfach eine Musik, für die man sich Zeit nehmen muss. Deswegen setze ich ja auch viel mehr auf Vinyl, weil du dich damit intensiver befassen musst. Du musst die Musik bewusst hören. Zum Glück gibt es ja den Trend, wieder mehr Platten zu hören. Der Großteil konsumiert Musik aber übers Handy oder auf Plattformen wie Spotify. Da haben wir keinen großen Erfolg, weil wir zu viel Aufmerksamkeit für eine zu lange Zeit fordern. Ich merke das ja auch selbst bei mir: Mir fällt es wirklich schwer, gute Sachen aus der Masse herauszufiltern, weil ich ständig mit neuen Tracks beschallt werde.

Dein Debütalbum „The Ocean’s Lullaby“ wurde als ideale Kopfkino-Reise in Zeiten des Lockdowns beschrieben. Magst du erzählen, wohin die Reise auf deinem neuen Album geht?
Es ist eine Reise durch meine Gefühlswelt. Ich bin kein Musiker, der sich hinsetzen kann und bewusst irgendeinen Song schreibt. Bei mir braucht es irgendwas und meistens ist es irgendeine Sache im Leben, die wahrscheinlich eher negativ behaftet ist. Erst dann kann ich Musik machen, kann mich ausdrücken. Das kann man auf „My Little, Safe Place“ auch hören. Vielleicht begibt man sich dann auch auf die gleiche Reise wie ich. Verblüffenderweise hat der Grafiker, der die Illustrationen zu den Songs gemacht hat und der keinerlei Vorgaben von mir bekommen hat, genau das visualisiert, was in mir vorging. Er sollte beim Hören der Songs einfach darauf achten, was sie in ihm bewegen. Ich freue mich aber darüber, wenn Menschen sich beim Hören meiner Musik auf ihre ganz eigene Gefühlsreise begeben. Es ist unfassbar schön, wenn mich Menschen daran teilhaben lassen, was da bei ihnen passiert. Ich will als auch gar nichts vorgeben und eröffne ihnen die Chance, meine Reise mitzumachen, aber ich will mich ihnen nicht aufdrängen. Und ja, das ist bei „The Ocean’s Lullaby“ gut gelungen. Irgendwie haben die Lockdowns da auch geholfen, da die Leute zu Hause waren und mehr Zeit hatten, sich in der Musik fallen zu lassen.

SIX DAYS OF CALM ist dein alleiniges Projekt, du hast bei der Produktion jedoch mit einer Menge Menschen zusammengearbeitet. Kannst du beschreiben, was der intensivste Moment während der Aufnahmen für dich war?
Was definitiv wahnsinnig intensiv war und mir auch als Erstes einfällt, ist der Moment, als dieses klassische Ensemble das gespielt hat, was ich mir ausgedacht hatte. Ich kann keine Noten lesen und habe mir alles irgendwie selbst beigebracht. Ich durfte nun mit diesen unfassbaren Profis zusammenarbeiten, richtige klassische Profimusiker, die sich da hinsetzen und alles, was sie bei mir gehört haben, in Noten umgeschrieben und wirklich auch gespielt haben. Dieser Moment zu hören, wie das klingt, wenn wirklich dieses Ensemble die Sachen live spielt. So gut diese ganzen technischen Geräte heute sind und so schwer man auch unterscheiden kann, was wirklich von Menschen eingespielt wurde und was nicht – echte Menschen kannst du einfach nicht simulieren. Da musste ich schon schwer schlucken, weil das eine ganz andere Liga war. Das hat mich echt mitgenommen und wirklich emotional sehr, sehr krass bewegt. Ich habe dabei andächtig und still in diesem Aufnahmeraum gesessen und mir gedacht, das gibt es nicht, wie schön das klingt. Das war unglaublich.